Kami-no michi
Weg des Geistes
 

Shihan Harald Borsody - 9. Dan


Karate ist für mich Antrieb und Suche nach Vollkommenheit. Mich haben, wie viele meiner Mitstreiter damals, die in den 1970er Jahren aufkommenden Kampfsportfilme von Bruce Lee und anderen Größen in den Bann gezogen. Die Aussicht mit asiatischem Kampfsport stärker als andere zu sein, mit Händen und Füßen so kämpfen zu können wie meine Vorbilder in den Filmen, war meine anfängliche Motivation. Die Begeisterung für den Kampfsport wurde bei mir sogar so groß, dass ich 1975 mit Taekwondo und Karate parallel angefangen habe. Letztlich habe ich sieben Tage die Woche zirka drei bis fünf Stunden täglich trainiert. Und das zusätzlich zur harten körperlichen Arbeit als Stahlbauschlosser.


Anfang 1976 habe ich mich dafür entschieden, nur noch Karate zu betreiben. Der Auslöser hierfür war das Zusammentreffen mit meinem ersten Meistertrainer Andre Dillar. Er hat mich nachhaltig für Karate, dessen Dynamik, das Zusammenspiel von Händen und Füssen und letztendlich für die Stärke und Kraft der Karatetechniken begeistert. Und diese Faszination ist mir bis heute geblieben.

In der Zeit von 1976 bis 1984 gab es Einflüsse von mehreren namhaften Karategrößen wie zum Beispiel Mike Foster Shihan 9. Dan (Yoshukai), Albrecht Pflüger Shihan 9. Dan (Shotokan) und anderen Lehrern. Diese Phase meiner Entwicklung war geprägt von der Suche nach dem einzig wahren Weg des Karate. Ich war ein Suchender nach Perfektion, sowohl in der mentalen als auch der körperlichen Ausführung des Karate.


1982 habe ich das erste Dojo zusammen mit meinem Bruder ins Leben gerufen und betrieben. Hintergrund für die Gründung war der Wunsch, unser Wissen, unsere Begeisterung und unser Können an andere Kampfsportinteressierte weiter zu geben.


Zwei Jahre später besuchte ich einen Lehrgang (SKID Sommer-Gashuku), mit dem japanischen Großmeister Akio Nagai Shihan 9.Dan Shotokan SKI Deutschland, sowie Norio Kawasoe Shihan 8.Dan SKI Austria. Als ich sah, welche Fähigkeiten diese japanischen Meister besaßen, war ich schockiert und zugleich grenzenlos begeistert. Deshalb habe ich mich damals auch spontan entschlossen, meine Karatezukunft nach den Lehren dieser Meister zu gestalten und wir wechselten 1984 auch als Dojo vom DKU- in den SKI Verband. Für mich war das damals die logische Konsequenz meiner Erlebnisse während des Gashuku. Die folgenden Jahre waren dann geprägt vom Willen, die Karatetechniken meiner Meister perfekt beherrschen und ausführen zu können. Ein Weg, der gezeichnet war von intensivstem täglichen Einsatz und harten Entbehrungen.


1986 stand auf Wunsch von Shihan Nagai meine Berufung in den Nationalkader SKI Deutschland an, mit dem Ziel der Teilnahme an der Weltmeisterschaft 1987. Dazu kam es dann aber auf Grund eines Kreuzbandabrisses im rechten Knie bei der Vorbereitung auf die WM nicht. Aus unserer gemeinsamen Dojo-Arbeit bis 1995 gingen sehr viele Kader- und Nationalmannschaftsmitglieder hervor, die zahlreiche nationale und internationale Erfolge feiern konnten.


Nach vielen Jahren, die von intensivem Engagement für den SKI-Verband geprägt waren, kam eine Zeit, in der ich anfing, viele Dinge zu hinterfragen, die nicht mehr meinem Verständnis von Karate entsprachen. Ausschlaggebend hierfür waren nicht nur das täglich harte Training, welches im Vordergrund stand, sondern auch meine geistige Entwicklung, meine Haltung dem Leben gegenüber und zum Karate im Besonderen. Dies führte schließlich dazu, dass ich 1995 kurz vor meiner Prüfung zum 5. Dan den SKI-Verband und auch das gemeinsam mit meinem Bruder aufgebaute SKI-Dojo verließ.


Mein Wunsch, Dinge im Karate zu verändern, veranlasste mich 1996 meinen eigenen Weg zu gehen. Im Laufe der Jahre habe ich einen eigenen Karatestil mit etlichen Neuerungen und Verbesserungen entwickelt. Daraus entstand letztendlich die Stilrichtung Kami-no-michi (Wege des Geistes). Eine Kombination aus traditioneller Technik mit realitätsnahem Kampfverhalten unter Berücksichtigung von energetischen Gesichtspunkten. Im Zuge der Änderungen wurden auch die Shotokan-Katas durch eigene Kata-Formen ersetzt.


Ich bin jetzt 65 Jahre alt und meine Begeisterung für Karate nimmt auch nach 48 Jahren noch stetig zu. Ich bin stolz darauf, über diesen Zeitraum fast täglich 2-3 Stunden trainiert zu haben. Trotz Knieproblemen halte ich an dieser Ernsthaftigkeit des Übens fest. Denn in ihr liegt unser Fortschritt. Denn das ist Karate-do, Kampfkunst mit Seele